Aufhören

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Als Gott die Erde erschuf, hat er nach der biblischen Schöpfungsgeschichte sieben Tage dafür gebraucht. Wirklich sieben Tage? Nein – eigentlich war nach sechs Tagen alles fertig und alles war offensichtlich sehr gut. Der Mensch wird am sechsten Tag erschaffen. Und doch ist die Schöpfung noch nicht abgeschlossen. Es passiert etwas Merkwürdiges: Gott ruht sich aus! Weil er so erschöpft war? Weil er sich angestrengt hatte? Weil ihm die Puste ausgegangen ist? Nein! Gott spricht nur ein Wort und schon geschieht es. Er, der Schöpfer des Himmels und der Erde, ruht sich aus, weil die Ruhe Bestandteil der Schöpfung ist. Die Schöpfung endet mit einem Feiertag. Und der erste vollständige Tag, den die Menschen in Gottes Schöpfung erleben, ist ein Feiertag! Gott feiert seine Schöpfung – was für ein schöner Gedanke!

Dass eine Woche aus sieben Tagen besteht, ist inzwischen überall auf der Welt gleich. Und dass ein Tag der Woche ein Feiertag ist, ist ebenfalls überall gleich. Die Juden, die in Erinnerung an den siebten Schöpfungstag den Schabbat feiern, haben alle anderen Menschen damit angesteckt. Und das Besondere am Schabbat ist, dass er allen Menschen gilt. Sogar dem Sklaven und der Sklavin und auch der Tochter der Sklavin. Auch der Fremde und der Flüchtling unterliegen dem Sabbatgebot. Selbst das Nutzvieh ist am Schabbat von der Arbeit freigestellt. Wenn Gott am siebten Tag von seinem Schöpfungswerk ruht, dann gehört die Ruhe mit zu seiner Schöpfung. Und wer kennt das nicht: Wir sind schnell erschöpft, wenn wir dieser Ruhe nicht Raum geben.

Für manche ist der Schabbat (oder für Muslime der Freitag und für Christen der Sonntag) der Tag, an dem man in die Synagoge, in die Moschee oder in den Gottesdienst geht. Aber das war nicht der ursprüngliche Gedanke des Feiertages: Das Gebot für den Feiertag lautet nicht: „Gehe in den Gottesdienst!“, sondern es lautet: „Höre auf mit dem Alltäglichen!“ Was unseren Alltag bestimmt, darf am Sonntag ruhen. Was uns im Alltag die Freude und die Kraft raubt, hat im Sonntag nichts verloren: keine E-Mails, keine TEAMS-Besprechungen, keine Konflikte am Arbeitsplatz, keinen Stress und keine Überforderung. Selbst die Erziehung der Kinder kann am Sonntag Pause machen. Und das Revolutionäre: Das gilt allen! Ohne Ausnahme! Der Sabbat, der Sonntag, ist der große Gleichmacher. In der Bibel wird das Sabbatgebot begründet mit dem Ende der Sklaverei für die Israeliten. Es ist das Recht der Freien, einmal in der Woche nicht arbeiten zu müssen. Gott, der Befreier, ist ein Gegner der Abhängigkeit, der Unterdrückung, der Fremdbestimmung.

So alt die Schöpfungsgeschichte und das Sabbatgebot sind, so modern ist die gesetzliche Verankerung des Sonntags in unserer Rechtsprechung. Die Sonntagsruhe wurde 1895 per Gesetz angeordnet und bezahlten Urlaub gibt es erst seit 1903. Nach dem Ersten Weltkrieg, der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg wurde Urlaub in Deutschland erst in der Nachkriegszeit und mit dem „Wirtschaftswunder“ allgemein üblich. Viele von uns werden in den nächsten Tagen in den wohlverdienten Urlaub aufbrechen. Andere werden den Urlaub zu Hause genießen und wieder andere werden weiter arbeiten und sich dann auf den Sonntag freuen.

Aufhören! Das ist nicht die Anweisung eines gestressten Vorgesetzten oder eines genervten Elternteils, sondern das ist die Erlaubnis, sich nicht stressen zu lassen und dem Raum zu geben, was Freude macht. Aufhören ist kein Müssen, sondern ein Dürfen. Es ist eine befreiende Ermächtigung, es sich inmitten der Schöpfung und der Geschöpfe gut gehen zu lassen. Und es ist die Erinnerung, dass diese Ermächtigung nicht nur den Privilegierten, den Reichen und Mächtigen gilt, sondern allen Menschen: Jedem Mann, jeder Frau, jedem Kind – überall auf der Welt. Ist das nicht wirklich eine gute Nachricht?

So wünsche ich Ihnen und uns allen, die wir normalerweise „den Laden am Laufen halten“, einen schönen und gesegneten Urlaub, bei dem der Laden für uns eine Zeitlang geschlossen bleiben darf und wir miteinander Freude und Freiheit genießen dürfen. (MV)