Das Leben ist nicht schwarz weiß

Unter diesem Motto stand der Abend am 19.9. mit Judy Bailey und Patrick Depuhl in der FEG Bad Schönborn. Das Plakat, mit dem dazu eingeladen wurde, nutzte allerdings nur genau diese zwei "Farben" schwarz und weiß und die Grautöne dazwischen. Würde das Konzert also zu einem Leben in Schwarz-Weiß-Grau einladen?

Die Bühne unterstrich diesen Eindruck. Vor dem großen schwarzen Vorhang verteilten sich viele, viele Bilder - in schwarz weiß. Zusammenhanglose Motive: ein kleiner Junge vor seinem Spielzeug-Lastwagen aus Zeiten, wo es Fotos sowieso nur in schwarz-weiß gab, ein imposantes, schlossähnliches Gebäude, ein großer verzweigter urwüchsiger Baum, zwei Frauen, die sich auf den ersten Blick nicht einordnen lassen. Entstand das Bild irgendwo in Asien - oder vielleicht in Südamerika?

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Die Bühne - am Anfang noch schwarz-weiss...
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Judy Bailey schafft es, das Publikum mit ihrer Musik mitzureißen

Und dann kommen die Protagonisten auf die Bühne - und ich zögere es so zu schreiben aber auch darum geht es ja wohl heute Abend - eine schwarze Frau und ein weißer Mann. Ein weißer Mann, der im Laufe des Abends den Begriff "Farbiger" aufgreift und eher sich darin wiederfindet als seine Frau. Er wird schließlich sichtbar rot vor Anstrengung, wird grün, wenn ihm übel ist und bekommt blaue Flecken, die sich langsam in alle Farben des Regenbogens auflösen.

Aber zurück zum Anfang. Judy Bailey begrüßt uns herzlich und spricht genau das aus, was ich empfunden habe: die Atmosphäre erinnert an ein Wohnzimmer-Konzert. Die gestellten Stühle sind ganz gut besetzt doch es hätten auch gut noch mehr Leute in dieses Wohnzimmer gepasst. Aber vielleicht war gerade dadurch die Stimmung gesetzt, eine Wohlfühl-Stimmung, ein heimeliges "Wir sind unter uns" - Gefühl, das uns manchmal so reservierte Bad Schönborner Zuschauer unglaublich schnell zu mitgerissenen, mitmachenden Weltbürgern werden ließ.
Der Rhythmus von Judies Musik macht es den Händen schwer, ruhig im Schoß liegen zu bleiben und so wurden sie gereckt, es wurde geklatscht und getanzt und lauthals mitgesungen.

Abwechselnd mit der Musik führten uns Patricks Texte einfühlsam, humorvoll und nachdenklich aus Zeiten mit sehr klarem Schwarz-Weiß-Denken in die Vorstellung einer äußerst bunten Welt, einer Welt, die eigentlich als Ganzes auch nur wie ein Dorf ist, ein Dorf wie z.B. das, in dem die Familie Bailey-Depuhl zu Hause ist, Alpen am Niederrhein.

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Patrick Depuhl erzählt Geschichten die einen berühren
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... wird im Laufe des Abends immer bunter

Jede dieser Geschichten bezog dann eines der Bilder mit ein. Am Fuße des riesigen Baumes erkennt man nach dem Hinweis darauf ganz klein Judy Bailey, die diesen Baum ihrer Heimat Barbados besonders liebt. Der Baum, der klar macht, dass man zum Groß- und Starksein tiefe, starke Wurzeln benötigt. Zu diesen Wurzeln gehören auch die unserer Herkunft und diese Herkunft der Bewohner von Barbados liegt eigentlich irgendwo in Afrika. Es sind Nachfahren der Sklaven, die die Briten als ehemalige Herrscher über die Insel zum Arbeiten hierher importierten, Nachfahren von Handelsware, mit denen blühende Geschäfte gemacht wurden. Nachfahren aus einer Zeit, in der ganz klar war, was schwarz oder weiß bedeutete.
Und was bedeutet es für uns? Hier heute in Deutschland? Wo einer der Söhne dieses Paares als einziger im Zug nach Fahrkarte und Ausweis gefragt wird? Wo der andere hinter der Ladentheke bewusst in langsamem und deutlichem Deutsch angesprochen wird?

Unterschiede im Aussehen sind offensichtlich und lassen sich nicht leugnen, aber wie gehe ich damit um? Das ist ein spannendes Thema und führt in der anschließenden Pause zu interessanten Gesprächen.

Im zweiten Teil geht es dann um unsere deutsche Geschichte und die Zeit, in der auch hier Menschen klar in gut und schlecht, für uns synonym mit weiß und schwarz, unterschieden wurden. Und da galt ganz klar: je weißer, je besser. Die Haut hell, die Haare blond, die Augen blau, so sollte es sein. Und um dem deutschen Mann zu ermöglichen, viele Kinder nach diesem Vorbild zu zeugen, wurden Mütter, die unehelich schwanger wurden, in den Häusern des Lebensborn aufgenommen und mit ihrem Nachwuchs gut versorgt - wenn dieser denn dem Wunschbild ausreichend entsprach. Um so ein Heim handelt es sich bei dem herrschaftlichen Gebäude auf einem der Bilder und tatsächlich liegt ein Teil von Patricks Wurzeln genau dort. Hier wurde sein Vater unehelich geboren und wuchs schließlich bei der Schwester seiner Mutter auf. Die Mutter wollte nach ihrer Heirat mit einem Mann, der nicht sein Vater war, nichts mehr von ihm wissen.

Die Schwester und ihr Mann kümmerten sich liebevoll um das Kind, wovon der selbstgebaute Spielzeuglaster auf dem einen Foto zeugt. Trotzdem ist es für das Kind ein Schock, als er erfährt, dass er adoptiert ist, ein Schock, der sein ganzes Leben prägen wird.

Zum Schluss klärt sich auch noch die Herkunft des Bildes der zwei so unterschiedlichen Frauen. Es wurde aufgenommen in Alpen, dem Dorf, in dem Patrick und Judy und wie man sieht, auch einige andere Bewohner unseres Weltdorfes schließlich Heimat gefunden haben. Nach den einzelnen Erzählungen erhalten die zugehörigen Bilder jeweils ein buntes Accessoire und eines der Hintergrundlichter bekommt eine neue, wärmere Farbe, sodass sich die Bühne am Ende in ein Bild für die bunte Welt verwandelt hat, in der wir heute leben dürfen.

Diese Konzert-Lesung hat den Wert dieser bunten Sicht auf das Leben und die Lebenden wunderbar deutlich gemacht. Wenn man bereit ist, hinter die Dinge zu schauen, die Geschichten hinter den Geschichten zu sehen, ist klar, das Leben ist nicht schwarz-weiß!

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Das Leben ist nicht schwarz-weiß!

  (BK)