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Urlaub ist die Zeit des Aufatmens

Gedanken über Irritationen, Gottesbilder und die Kraft der Begegnung mit Jesus Christus

Albert Einstein soll gesagt haben: „Unser Wissen ist endlich, aber unser Nichtwissen ist unendlich.“ Je älter ich werde, desto mehr stimme ich diesem Satz zu, denn was ich zu wissen meine – über mich, über die Welt und auch über Gott – ist oft nicht mehr als ein bunter Flickenteppich aus Erfahrung, Hörensagen und Wunschdenken.

Ich selbst baue mir aus ein paar Wissensbruchstücken ein Weltbild zusammen, das sich stimmig anfühlt – und das dann doch der Wirklichkeit nicht standhält. Erst wenn ich anderen Menschen wirklich begegne, beginnt dieses Bild zu wanken. Was ich früher über Mädchen, Geflüchtete oder Andersgläubige dachte, hat oft mehr über meine Clique, meine Herkunft oder mein Umfeld ausgesagt als über die Menschen selbst.

Ich lerne: Es ist gut, sich irritieren zu lassen. Gut, wenn Begegnungen meine Sicht relativieren. Gut, wenn ich erkenne, dass meine Sichtweise nicht „die Wahrheit“ ist. Diese Irritationen helfen mir, die Wirklichkeit ernster zu nehmen als meine Meinung darüber und meine Sicht der Dinge.

Besonders im Glauben ist diese Versuchung groß: Ich kenne viele Predigten, Glaubensstile, fromme Wahrheiten – aber oft bleibt das alles „Wissen aus zweiter Hand“. Ich merke, wie schnell meine Frömmigkeit zur frommen Weltanschauung und Ideologie wird. Wie leicht ich mich selbst als „bibeltreu“ verstehe – und damit andere als bibeluntreu etikettiere. Wie oft ich meinen Glauben mit einer Haltung verwechsle, die vor allem Sicherheit gibt, statt ehrliche Suche zuzulassen.

Mark Twain hat einmal gesagt, man solle sich öfter dreier Worte bedienen: „Ich weiß nicht.“ Das ist unbequem – aber heilsam.

Ich glaube: Gott schätzt unsere Irritationen. Vielleicht hat das zweite Gebot („Du sollst dir kein Bild machen“) auch diesen Sinn – dass wir erkennen, wie begrenzt unsere Gottesvorstellungen sind. Unsere religiöse Sprache, unsere Konfession, unser Frömmigkeitsstil – all das kann helfen, aber auch verhindern, dass wir dem lebendigen Gott begegnen.

Martin Buber hat gesagt: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ Das gilt auch für den Glauben. Wirklicher Glaube ist Begegnung mit Jesus Christus – nicht mit einer Idee von ihm, sondern mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen selbst. Ihm bin ich begegnet, wenn ich einem Hungrigen Brot gebe, einem Geflüchteten Raum, einem Kranken Nähe. Jesus selbst sagt: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Urlaub ist eine Zeit des Aufatmens. Vielleicht auch eine Zeit, um sich auf wohltuende Irritationen einzulassen. Um neuen Menschen zu begegnen – oder Altvertraute mit neuen Augen zu sehen. Um liebgewordene Überzeugungen zu hinterfragen. Um neu nach Gott zu fragen – nicht als Idee, sondern als lebendiges Gegenüber.

Ich wünsche uns allen in dieser Sommerzeit solche wegweisenden Begegnungen – mit anderen, mit uns selbst, mit Gott. Und die Freiheit, nicht alles wissen zu müssen, sondern offen zu bleiben für das, was Gott uns zeigen will – vielleicht mitten im Alltag, vielleicht unter Palmen, vielleicht in der Begegnung mit lieben Menschen, vielleicht auch im Angesicht eines Fremden.

  (MV)